Festrede zum125 jährigen Jubiläum des Obst- und Gartenbauvereins Bensheim
am12. März 2016 im Alleehotel Europa von Steffen Mößinger:
Liebe Freundinnen und Freunde des Obst- und Gartenbauvereins Bensheim,
liebe Gäste,
wie alt wir Einzelnen hier auch sein mögen, wer von uns kann schon behaupten,
dass sein alter dreistellig ist? Umso stolzer sind wir auf unseren Verein: Er besteht jetzt seit 125 Jahren und ist damit älter als jedes seiner Mitglieder.
Und was hat er nicht alles mitgemacht! Zwei Weltkriege überdauert, aber auch Friedliches und Schönes erlebt. Zeiten voller Armut und Leid gesehen, das Wirtschaftswunder mit seinem Schwung und Optimismus gespürt. Stars und Sternchen, Weltmeister und Olympiasieger, Politiker und Wirtschaftsbosse hat er kommen und gehen sehen – und dabei stets die Stellung gehalten.
Kurzum: Die Zeiten konnten stürmisch sein – und doch gabs immer unseren Obst- und Gartenbauverein.
1891: Im deutschen Reich wird die gesetzliche Rentenversicherung eingeführt. Otto Lilienthal führt erste erfolgreiche Flugversuche durch. Deutsch Ost-Afrika wird die erste deutsche Kolonie. Kaiser Wilhelm der zweite regiert das Deutsche Reich und manövrierte sich in eine gefährliche außenpolitische Lage durch Konflikte mit andern europäischen Großmächten. Viele sagten damals zu politischen Themen nein – doch sagt man ja zu unserem Obst- und Gartenbauverein. Es gab noch kein elektrisches Licht, kein Radio, kein Fernsehen, geschweige denn Musik aus der Konserve. Man traf sich abends unter dem Lindenbaum zum Volkslieder singen oder in der Familie, denn was sollten die armen Leute machen ohne Fernseher, PC und Playstation…? Na – gärtnern natürlich.
An einem grauen Novemberabend, so darf man sich das vielleicht vorstellen, trafen sich Fabrikant Euler, Baum-Schuler Jäger und Hofgärtner Hein nicht nur zum Bier oder zum Austausch von Neuigkeiten, nein sie hatten Größeres vor. Sie wollen einen Verein gründen in dem sich Männer und Frauen dem Obst- und Gartenbau widmen. Ziel des Vereins sollte sein, das die Obst-und Gartenbauer durch gezielte Anleitungen und Übungen, zu besseren, verkaufsfähigen Früchten kommen, diese zu vermarkten und damit ein besseres Leben zu ermöglichen.
Nach 2 Aufrufen in der Tageszeitung, trafen sich am Sonntag dem 8. März 1891 um 16 Uhr die Interessierten im Hotel zum Deutschen Haus in Bensheim. Bei diesem Treffen wurde der Obst-und Gartenbauverein Bergstraße und Bensheim gegründet. Der Präsident des Vorstandes wird Herr Euler, der zweite Vorsitzende wird Herr Jäger und Rechner der Apotheker Müller. Der Jahresbeitrag wurde auf zwei Mark festgesetzt.
Bei einem Vortrag von Landwirtschaftslehrer Dorn am 12. April 1891 treffen sich 160 Mitglieder. Am Sonntag dem 12 Januar 1892 begrüßte der Präsident Herr Euler über 400 Personen im deutschen Haus. 100 Alpenveilchen und Pakete mit Gemüsesamen wurden verlost. Am 4. Dezember 1892 begrüßte der Präsident das 1000. Mitglied. Er erhielt 12 Hochstammobstbäume als Geschenk.
Bei der Versammlung am 8. Januar 1893 wurde der Verein wegen seiner Größe in die Bezirke 1 Heppenheim, 2 Bensheim und 3 Zwingenberg aufgeteilt. Der Obst-und Gartenbauverein Bensheim hatte ab 1893 viel zu tun. Es gab Ausstellungen, das angebaute Obst musste vermarktet werden und für Frauen gab es Kurse zum Einkochen und zum Herstellen von Marmelade. Der Obstmarkt in Frankfurt und später auch Mannheim nahm mit dem Obst von der Bergstraße einen großen Aufschwung.
Im Jahr 1916 wurde dann, wenn überhaupt wohl recht sparsam, das 25-jährige Verein-Jubiläum gefeiert, befand man sich doch mitten im 1. Weltkrieg. Die Not war groß und groß war auch der Hunger. Rund zehn Millionen Soldaten kamen in den 4 Jahren ums Leben, weitere 20 Millionen wurden verwundet. Die Zahl der zivilen Toten, der Flüchtlinge und Zwangsumgesiedelten, der Opfer von Hungersnöten und Seuchen lässt sich ebenfalls in Millionen messen. Nur gut, wer da ein eigenes Stückchen Garten besaß, um der stärksten Not zu entgehen. Ich fasse zusammen: Die Not ist groß, das Geld ist klein – doch immer noch gibts den: Obst-und Gartenbauverein.
Der hat natürlich die schlechten Zeiten auch zu spüren bekommen aber trotz des ersten Weltkrieges konnte der Präsident Herr Euler die Obst- und Gartenbauvereine am Leben erhalten. Nach den Kriegswirren wurde Herr Euler die Arbeit im Kreisverband und Ortsverein zu viel, er trennte den Obst- und Gartenbauverein Bensheim ab und gab Vorstandswahlen bekannt. Am 1.September 1921 wurde Herr Rektor Michel zum neuen 1. Vorsitzenden gewählt. Im Inflationsjahr 1923 betrug der Jahresbeitrag 10 Mark, die Einnahmen des Vereins betrugen 53.600,-Mark, die Ausgaben 34.700,- Mark.
Bei der Jahreshauptversammlung am 18.2.1934 sprach man über die Eingliederung des Obstmarktes Zwingenberg in den Verein, da das Obst nur noch über den Obstmarkt vertrieben werden durfte.
Doch dann kam alles ganz anders. Im März wurde beschlossen dass der Obst- und Gartenbauverein durch die Obstgenossenschaft weitergeführt wird. Das Guthaben des Vereins wurde auf das Konto des Obstmarktes überwiesen. Als 1939 der 2. Weltkrieg begann wurden auch viele Vereinskameraden eingezogen. 60 Staaten waren an dem Krieg beteiligt, über 110 Millionen Menschen standen unter Waffen. Die Zahl der Kriegstoten liegt zwischen 60 und 70 Millionen.
Uns ist nicht bekannt, dass der 50. Geburtstag unseres Vereins 1941 in irgendeiner Weise gefeiert wurde.
1949, nach dem die früheren Führungskräfte des Vereins aus der Gefangenschaft heim kamen, stellten sie fest, dass der Verein durch den Obstmarkt nicht nach Vereinbarung fortgeführt wurde. So gab es bis 1958 nur lose Zusammenkünfte. Ein neuer Vorstand wurde erst 1962 gewählt. Heinrich Seitz wurde erster Vorsitzender, Georg Heeb zweiter Vorsitzender, Karl Wenz Rechner. Der Verein hatte gerade noch elf zahlende Mitglieder.
Ein 75 jähriges Jubiläum 1966 wurde nicht gefeiert. Die Welt sah aber in diesem Jahr schon ganz anders aus: Das Wirtschaftswunder ist da, „der deutsche Bauch erholt sich auch und ist schon sehr viel runder…“ singen die Berliner „Stachelschweine“. Deutschland gewinnt nicht nur Wohlstand und Selbstbewusstsein sondern bekommt auch die erste große Koalition mit Georg Kiesinger als Bundeskanzler.
Ich fasse zusammen: Den Deutschen geht es wieder fein – und wieder gibts den: Obst-und Gartenbauverein.
1975 richtete der Verein unter Leitung von Karl Schumann die erste Kreisausstellung im Bürgerhaus aus. Der Verein hatte 24 Mitglieder. In den folgenden Jahren gibt es jedes Jahr eine Lehrfahrt und auch die Bundesgartenschau wurde besucht. Die Zahl der Mitglieder steigt wieder. Tatkräftig unterstützt wurde der Verein in seiner Arbeit durch Obstbauinspektor Kühn. Ab 1990 ist Obstbauinspektor Steinbauer in Groß-Umstadt für Vorträge und Ausbildung zuständig.
Wir schreiben das Jahr 1991. Der Obst-und Gartenbauverein hat 78 Mitglieder Am 9. März wird im Kolpinghaus das 100 jährige Jubiläum gefeiert. Zwei Jahre zuvor, am 9. November, fiel die Mauer, an der 239 Menschen ihr Leben lassen mussten. Aber auch der 2. Golfkrieg bestimmte das Weltgeschehen. Der 1. FC Kaiserslautern wird zum 3. Mal Deutscher Fußballmeister. Wenn also früher auch nicht alles besser war- der 1. FCK war es zumindest.
Ich fasse zusammen: Beim Fußball geht der Ball oft rein – und immer noch gibts den Alle: Obst-und Gartenbauverein.
Und den gibt es bis heute, dem Jahr 2016, in dem wir mit 111 Mitgliedern unser 125- jähriges Jubiläum feiern.
In den letzten 25 Jahren unter Führung von Karl Schuhmann, Ludwig Arras und Wolfgang Heeb, pflegt man seit Jahren die städtische Streuobstwiese am Golfplatz, schneidet die Mandelbäume am Tegutkreisel und pflegt die vom Verein gepachtete, mit neuen Hochstammobstbäumen bepflanzte Streuobstwiese am Eichelberg. Jährlich gibt es Fahrten und Vorträge zum Thema Obst, Gemüse und Gartenbau.
Gegenüber dem Gründungsziel des Vereins, damals in der Hauptsache die Versorgung der Bevölkerung mit frischem Obst, hat sich heute einiges geändert. Das Obst kommt heute billig aus der ganzen Welt. Leider gibt es heute nur noch wenige die Obst und Gemüse selbst anbauen, die sich um unsere erhaltenswerte Kulturlandschaft kümmern, aber es gibt sie noch!
Das alles, liebe Freundinnen und Freunde, ist euer Verdienst. Das habt ihr und ein starkes Team im Vorstand unter Leitung von Wolfgang Heeb mit eurer Energie, euren Ideen, eurem Einsatz geschafft und geschaffen!
Und schließlich möchte ich noch ganz speziell dem Team danken, dass diese tolle Feier heute vorbereitet hat und ausrichtet: dafür bitte einen Applaus!
Nun liebe Freundinnen und Freunde des Obst-und Gartenbauvereins, wir wissen nicht was der Festredner, in 25 Jahren, an meiner Stelle, sagen wird. Diese Geschichte muss erst noch geschrieben werden. Fest steht nur, dass wir unseren Teil dazu beitragen und dafür sorgen werden, dass es – zumindest, was den Obst-und Gartenbauverein betrifft – eine Erfolgsgeschichte bleibt. Ich freue mich darauf. Und sage noch.
Wie es wird, so wird es eben sein – und mit dabei ist unser Obst-und Gartenbauverein.